Montag
24.11.2008 |
Nicaragua kriegt sich nicht ein
Der letzte nicaraguanische Bürgerkrieg ist schon wieder dreißig
Jahre her. Es wird also Zeit, dass sich das Land wieder bewegt. Damals, im Juli
1979, stürzte eine Revolutionsbewegung die Regierung und errichtete eine
pseudo-kommunistische Junta, die unter der weisen Aufsicht von Daniel Ortega
ein Regime aufbaute, welches sich grob am kubanischen Vorbild orientierte. Und
genau wie in Russland und Kuba wurde eine kleine Zahl von Parteigenossen stetig
dicker, während das Volk vor sich hin hungerte und fleißig den Wohlstand
des Proletariats förderte. Bewohner der "neuen Bundesländer"
(Ostdeutschland/Ex-DDR) kenne dieses Phänomen.
Vom Regen in die Traufe
Die Sandinistas, oder Mitglieder der Frente Sandinista de Liberación
Nacional (FSLN), hatten also die Somoza-Diktatur gestürzt und ein Regime
mit kommunistischer Orientierung errichtet, was durchaus löbliche Ansätze
beinhaltete, jedoch vor dem Volke an der korrumpierten Allmacht ihrer Parteispitze
scheiterte. Glücklicherweise befindet sich der mittelamerikanische Staat
nur einen Raketenstart von den USA entfernt, was die Beseitigung dieses undemokratischen
Übels erleichterte. Ronald Reagan hatte die rettende Idee. Er veranlasste
die Verminung von Corinto, dem einzigen Pazifikhafen von Nicaragua, und sandte
großzügige Unterstützung an die Contra, einer Miliz-artigen
Gruppierung die zum Teil aus ehemaligen Militärs des gestürzten Diktators
Anastasio Somoza Debayle bestand. Mit amerikanischen Waffen und Dollars gerüstet,
starteten diese "Freiheitskämpfer" Überfälle auf ländliche
Dörfer, stahlen Vieh und verbrannten Ernten, konnten jedoch keine Befreiung
des Landes herbei führen. Selbst die ersten Wahlen 1984 bestätigten
die kommunistische Regierung. Die vereinigten Staaten, seit jeher in jeglichem
Umgang mit Schusswaffen versiert, blieben aber standhaft, irgendwann musste
das Volk dem terroristischen Druck doch nachgeben?! Die USA verschacherten also
weiterhin heimlich militärische Güter an den Iran und erhielten mit
dem so erworbenen Finanzpolster den Druck aufs nicaraguanische Volk aufrecht.
Da Costa Rica schon damals als "die Schweiz Mittelamerikas" bekannt
war, konnten die US-Terroristen nur von Honduras aus operieren. Aber durch die
hohe wirtschaftliche Bindung zum demokratischen Amerika war die Bananenrepublik
ehedem viel einfacher zu handhaben.
Dritte Wahl
Erst 1990 verlor die FSLN ihren profitablen ersten Regierungsplatz an die Unión
Nacional Opositora (UNO). Zu jener Zeit waren die USA vom internationalen Gerichtshof
Den Haag in Anerkennung ihrer paramilitärischen Destabilisierungs-Beihilfe
längst zu 2,4 Milliarden Dollar Ausgleichszahlungen verurteilt worden,
eine Geldeinheit die bis heute nicht vom Staatskonto abgebucht wurde. Dennoch
gelang Nicaragua unter der Führung von Violeta Chamorro eine Wiederbelebung
internationaler Handelsbeziehungen, obwohl sie nach alter Familientradition
mit Contras und Sandinistas gleichermaßen kooperieren musste. Zwar gab
es auf beiden Seiten Abspaltungen enttäuschter Gewaltgruppierungen, Wiederbewaffnung
und reichlich Drohgebärden gegen alle Brüder und Schwestern des demokratischen
Wandels, doch da irgendwie alle Splittergruppen am Regierungsapparat beteiligt
waren, konnte man schlecht einen neuen Aufstand proben. Unterwandert wurde Madame
Chamorro trotzdem, wie die eklatante Steigerung von privaten Reichtümern
bewies. In der als Piñata bekannten Schwemme von Privatisierungen knüppelten
die Kenner des Systems munter auf dem frontal fixierten Staatsesel herum und
klaubten die Unternehmen, Plantagen und Industriekomplexe auf, die dabei zu
Boden fielen. Jene Zeit war für Contras und Sandinistas gleichermaßen
fett, aber eigentlich wollte ja jede Seite die Blutwurst für sich allein
haben
Vorwärts immer - rückwärts nimmer
1996 mündete der Betrug am Volk in der Präsidentschaft von Arnoldo
Alemán, der seine korrupten Staatsdiener mit Vergünstigungen fütterte,
während er sich selbst juristische Immunität und Festgehalt auf Lebenszeit
verordnete. Fünf Jahre später löste ihn die liberale Partei PLC
ab, die unter der Führung von Enrique Bolaños einen umfangreichen
Kampf gegen sämtliche Korruption anstrebte. Dumm nur, dass sich die Opposition
gegen die PLC verschwor und weiterhin eigenständig und ohne Bolaños'
Einflussnahme am politischen Apparat drehte. Sandinistas und Contras bildeten
eine oppositionelle Mehrheit und schraubten an den Gesetzen zur Machtübernahme,
wodurch der FSLN während der Wahlen 2006 eine einfache Mehrheit von 38,1%
ausreichte, um sich erneut in den Staatsvorstand zu setzen.
Ortegas zweite Amtszeit
Seit Januar 2007 ist Daniel Ortega nun wieder Präsident von Nicaragua und
erhält so die Möglichkeit, den wirtschaftlichen Ruin des Landes zu
Gunsten eigener Bevorteilung weiter auszubauen. Zwei Jahre nach seiner Amtsübernahme
ist dem Volk klar geworden, dass es ihn gar nicht in dieser Position sehen will,
wodurch Ortega neue Mogeleien auflegen muss, um seine Macht zu verfestigen.
Die Kommunalwahlen Anfang November hätten diesen Abwärtstrend deutlich
zeigen können, fielen für die rebellische FSLN jedoch eher positiv
aus. Mancher mag einwerfen, dass die vielen Stimmzettel die halb verbrannt auf
Müllkippen gefunden wurden und allesamt gegen die regierende Partei sprachen,
möglicherweise nicht mitgezählt wurden. Da jedoch niemand unabhängigen
Beobachter zur internationalen Absicherung des Wahlverfahrens abstellte, was
wohl auch mit der radikalen Verbannung selbiger durch bewaffnete Regierungstruppen
forciert wurde, muss das Rätsel um den überraschenden Wahlausgang
vorerst ungelöst bleiben./p>
Was ist Zukunft?
Mittlerweile fühlen sich dermaßen viele Bürger politisch missverstanden,
dass sie offen gegen ihre legislative Bevormundung vorgehen. Unter Einsatz von
Knüppeln, Brettern, Gasflaschen und Molotow-Mixgetränken proben sie
den Aufstand, welcher bislang nur unter großem materiellem Aufwand verhindert
werden konnte. Regimetreue Prügeltrupps drängen die Widersacher zurück
und scheren sich freundlicherweise kaum um Inhaftierung der Parteifeinde, schließlich
reichen die Gefängnisse des Landes bei weitem nicht aus um ein Drittel
der Bevölkerung einzusperren. In den Straßen herrscht Krieg, einige
Regionen werden inzwischen von der Polizei gemieden, weil sie als Uniformträger
im allerorts um ihr Leben fürchten müssen. Das Volk hat also begriffen,
dass Ortegas Junta nicht für den Fortschritt steht. Nur, welche Alternative
böte sich nach einem erfolgreichen Sturz? Würde sich die gewalttätige
Einflussnahme einer der beiden Extremparteien überhaupt verhindern lassen?
Für viele scheint Bürgerkrieg jedenfalls erstrebenswerter als Akzeptanz
bisheriger Zustände.
Als Europäer hat man kaum eine Vorstellung von den Umständen die den
durchschnittlichen Bürger zum bewaffneten Widerstand gegen den Staat führen
können, aber zumindest die Ausmaße solcher Schlachten dürften
uns bewusst sein. Schon Paul Kamm & Eleonora McDonald mahnten zur Vorsicht
vor übereilten Kriegsmaßnahmen: "Ist's a mighty long way to
be gone."
|