Donnerstag
20.11.2008 |
Segel reffen, Motor anwerfen, Piraten Ahoi !
Es ist finstere Nacht und der überwiegende Teil der Besatzung des Öltankers
liegt in den Kojen. Nur einzelne Matrosen wachen über Kurs und Sicherung
des stählernen Kolosses. Weit hinter dem Heck schält sich langsam
ein blaues Objekt aus der nächtlichen Nebelbank, das im Takt der Wellen
auf und ab wippt. Leise und unscheinbar rückt es näher. Das stromlinienförmige
Schnellboot, welches dem Tanker folgt, ist knapp acht Meter lang und gleitet
scheinbar lautlos über das Wasser. Der Motor erzeugt ein gleichmäßiges
stumpfes Brummen, das von dem pfeifenden Wind an Deck jedoch glatt übertönt
wird. Wenn eine größere Welle das schnelle Gefährt empor hebt,
klatscht jenes anschließend flach auf die Wasseroberfläche. Die fünf
jungen afrikanischen Männer stehen dennoch regungslos am Bug ihres Kaperschiffs.
Mit steinerner Mine taxieren sie den immer näher kommenden monströsen
Schatten, in dessen Kielwasser sie seit einer halben Stunde fahren.
Gute Aussicht
Dies soll ihr bislang größter Beutezug werden. Am Tanker angekommen,
springt einer nach dem anderen hinüber, krallt sich an irgendwelchen Vorsprüngen
oder Tauen fest und beginnt den mühsamen, gefährlichen Aufstieg. Jahrelang
haben sie sich auf diesen Moment vorbereitet, haben alte rostige Fischtrawler
erklommen, die in ihrer Heimatbucht vergammeln. Sie sind auf Palmen geklettert,
auf Ladekräne und auf alte Fabrikhallen. Kleine Frachter haben sie überfallen,
die Ladung verpfändet oder manchmal auch Lösegeld erpresst. Zumeist
mit Macheten bewaffnet erklommen sie Schiffsflanken und nahmen die Besatzung
gefangen. Viele von ihnen wurden bereits von Fahrtwellen ertränkt, zwischen
Schiffsrümpfen zermalmt oder von der Polizei aufgegriffen. Wer sich der
Piraterie schuldig macht, muss in vielen Ländern mit körperlichen
Strafen inklusive Fleischverlust zwischen Hand und Kopf rechnen, lebt also nach
einem Schuldspruch nur noch ein unvollständiges Leben. In Somalia, dem
Heimatland der erfolgreichsten Piraten der Neuzeit, hat der Staat freilich wenig
Macht über das Tun seiner Bevölkerung. Ein Land das fast nur aus pseudo-souveränen
Provinzen besteht kann über seine nicht vorhandenen Ordnungshüter
kaum Druck auf Gesetzesbrecher ausüben, schon weil es keine anerkannte
Gesetzesgrundlage gibt. So konnten Freibeutersiedlungen florieren und zu beachtlichen
Städten auswachsen.
Kinder der See
Somalische Seeräuber sind bei jedem Händler gern gesehen, denn sie
sind stets flüssig. Gerade in Gebieten wo sie die einzigen zahlungsfähigen
Kunden sind, macht man sich über die Herkunft des Geldes keine Gedanken.
Für die Geiseln wurden sehr gut ausgestattete Quartiere eingerichtet, oft
sogar mit Essen nach Wunsch der "Gäste". Schließlich gehört
Gastfreundschaft noch immer zum guten Ton in Afrika. Darüber hinaus gilt
es hier keinen Kampf "Menschenhändler gegen Sklave" zu bestreiten.
Es geht nur ums Geschäft. Handelsschiffe sind dazu da, gekapert zu werden
und viele Frachten zwischen Europa uns Asien werden durch den Golf von Aden
gefahren. Irgendwelche Vorteile muss Jahrhunderte alte Landkartenkenntnis schließlich
mit sich bringen. Dummerweise hat sich die Anzahl erfolgreicher Piraten in dieser
Meerenge in den letzten drei Jahren verzehnfacht, was hauptsächlich auf
zwei Finanzierungsmodelle zurückzuführen ist.
Die etwas intelligenteren Freibeuter der alten Schule haben große Teile
ihrer Einkünfte reinvestiert, sich mit automatischen Gewehren, großen
Schnellbooten und Navigationsgeräten ausgerüstet. Derart modernisiert
können sie nun auf große Kaperfahrt gehen und Beuteschiffe schlagen
die vor wenigen Jahren noch unerreichbar waren.
Andere Piraten haben ihre Freiheit partiell aufgegeben und sich mit findigen
westlichen Unternehmern zusammengeschlossen. Schließlich sind die Entschädigungen,
die Versicherungsgesellschaften an überfallene Reeder zahlen, weit größer
als das originale Lösegeld mitsamt den Ausfallkosten. Was beim "verlorenen"
Neuwagen funktioniert, klappt in aller Regel auch bei Hochseetauglichen Stahlkolossen,
sodass Versicherungsbetrügern gern mal geeignete Somalis für organisierte
Entführungen anheuern. Im Notfall sorgt ein unachtsam über die Bordwand
hängendes Tau für einen sicheren Zugang zum Oberdeck.
Gefahr im Verzug
Doch ist das Leben eines Piraten auch im Golf von Aden inzwischen gefährlich
geworden. Jede Nation mit wirtschaftlichen Interessen in diesen Gewässern
entsendet mittlerweile eigene Kriegsschiffe, um die fahrenden Händler zu
schützen. Erst Dienstagnacht hat die indische Fregatte "INS Tabar"
ein großes Boot somalischer Piraten versenkt. Nach der Aufforderung zum
umgehenden Maschinenstopp eröffnete das Mutterschiff krimineller Machenschaften
das Feuer, was die Inder in tradierter Manier beantworteten. Da die Bewaffnung
letzterer allerdings für den Kampf gegen andere Schiffe ausgerüstet
ist und nicht für die Versorgung kleiner Piratenkähne, zog die afrikanische
Schaluppe den Kürzeren. Solche Mutterschiffe dienen nur einem Zweck: sie
ziehen Schnellboote aufs Meer hinaus, wodurch selbige einen sehr viel größeren
Aktionsradius erhalten und nunmehr Schiffe entern können, die vor wenigen
Monaten noch unerreichbar waren.
Wie unsicher diese Methode nun wird, zeigt nicht nur die INS Tabar, sondern
auch die große Zahl weiterer Fregatten die aus aller Welt nach Somalia
unterwegs sind, um im Golf umherzukreuzen. Letzteres beunruhigt nun wiederum
die Anrainerstaaten. Insbesondere Jemen sieht seine militärische Souveränität
bedroht und wirft warnend die Faust in die Luft. Andererseits, was will das
Nomadenvolk schon tun? Seine Pferde zu Wasser lassen?! Die Kapitäne der
nun eintreffenden Kriegschiffe fürchten weder Schnellboote noch Hochseepferdchen
und werden ihren Ordnungsauftrag ungehindert wahrnehmen.
Beute Ahoi
Doch zurück zu unseren eingangs erwähnten Piraten-Veteranen. Sie haben
ihre Mission erfüllt, den saudiarabischen Öltanker "Sirius Star"
gekapert und in die Heimat verschleppt. Allein das geladene Rohöl für
etwa 100 Millionen Dollar sollte für eine fristgerechte Übergabe der
geforderten 25 Millionen sorgen. Fracht und Passagiere lassen ferner keine gewaltsamen
Befreiungsversuche zu. Die kleine Freibeutercrew kann sich demnach auf ein hübsches
Sümmchen freuen, welches die erforderlichen Mühen mehr als ausgleicht.
Die unromantischen Vorstellungen von holzbeinigen Piraten mit Glasauge und Krummsäbel,
die in morschen, verrauchten Hafenkneipen ihre Wocheneinkünfte in Rum und
unansehnliche Frauen umsetzen, die nur gegen ordentliche Bezahlung über
Gestank, Schmutz und Narben ihrer Freier hinwegsehen; diese alten Bilder sind
verschwunden. Sie weichen einem Mosaik aus moderner Technik, maßgeschneiderten
Anzügen, aktuellsten Handys, gepflegten Hauseigentümern und zahlungskräftigen
Kalaschnikov-Veteranen. |