Goemon5: Blog Tagebuch

Goemon5 in Norway

Goemons Gruseliges Tagebuch

In dieser Ecke werde ich in unregelmäßigen Abständen (sobald ich eine Eingebung habe und über die Zeit verfüge dieser zu folgen) markante Erlebnisse meines bescheidenen Lebens niederschreiben.

 Die zeitliche Abfolge folgt übrigens den geologischen Regeln: die ältesten Daten befinden sich im liegenden (unten) und da die Geschichten teilweise aufeinander aufbauen, sollten sie von unten nach oben gelesen werden.
Texte von 2006 und 2007 befinden sich hier.

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Dienstag

11.11.2008

Noch mal Castor

Der Castor-Transport mit französischen Reaktorbrennstäben hat Gorleben erreicht und seine radioaktive Fracht im Salzstock hinterlegt. Mit etwa achtzig Stunden hat der Transport etwa anderthalb Tage länger gebraucht als geplant und wird somit die ursprünglich geplante Kostengrenze von 20 Millionen Euro locker sprengen. Die Demonstranten, die mit Sitzblockaden auf Straße und Schiene für reichliche Verzögerungen sorgten, gehen zufrieden nach Hause. Durch die aufwendigste Castor-Blockade seit Beginn der Einlagerung in Asse II haben sie ihrem Unmut Luft gemacht, dem Bestreben nach einer Welt ohne staatlich geförderte Radioaktivität Stimme verliehen. Tatsächlich scheint unser Regierungsapparat aus jener Lethargie erwacht zu sein, in die führende Unions-Politiker ihn durch den verschobenen Atomausstieg schickten.

In einem gemeinsamen Bekundungs-Papier einiger CDU-Politiker aus den Resorts Umwelt, Wirtschaft und Haushalt heißt es: "Die Suche nach neuen Endlagerstandorten wird abgelehnt. […] Weitere Suchschleifen führen nicht zu besseren Lösungen, sondern nur zu Verzögerungen und höheren Kosten." Da bin ich aber froh, dass sich die Christdemokraten so differenziert mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Kein Wort von den Sicherheitslecks im Salzstock Asse II, über die ausgelaufenen Behälter oder die Pumpversuche der Betreiber, die in Eigenregie radioaktive Flüssigkeiten nach Gutdünken durch die Stollen geschoben haben. Baden-Württembergs Tanja Gönner meinte zudem, dass ein besseres Endlager neue Erkundungsbohrungen voraussetzen würde, was wiederum Protest und Widerstand hervorrufe. Katherina Reiche, CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, ergänzte zudem: "Den Schlagerwettbewerb >>Deutschland sucht das beste Endlager<< machen wir nicht mit."

CDU und CSU stellen also erneut auf gehörlos und kritisierten die Proteste, die teilnehmenden Politiker der Grünen und der Linken und natürlich Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Unionsfraktionschef Volker Kauder wörtlich: "Dafür habe ich kein Verständnis". Schließlich wollen die Atomkraftgegner einen Ausstieg aus der Kernkraft, was auch eine Lagerung der Abfälle erfordert. Schön, dass Herr Kauder so gut aufpasst. "Wir sind gegen Endlagerung" hatte ich unter den Kundgebungen allerdings gar nicht sehen können. Nach meiner begrenzten Auffassung ging es immer um die skandalösen Zustände im nuklearen Salzstock, den erneut verschobenen Ausstieg aus der Atomenergie und um das nicht vorhandene Bemühen unserer Koalition sich überhaupt kritisch mit der Frage auseinanderzusetzen. So kann man sich irren!

Auch Markus Söder, Umweltminister Bayerns, ließ die Kirchenglocken für eine zeitnahe Pro-Gorleben-Entscheidung erschallen. Gabriel dürfe nicht sich nicht aus "ideologischen Gründen" dagegen stellen. "Eine Abkehr wäre ökonomisch und ökologisch nicht verantwortbar", führte er fort und berief sich auf das jüngste Gutachten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), welches dem Schacht Asse II aus geowissenschaftlicher Sicht eine Lagerungsfähigkeit radioaktiven Unrats bescheinigt. Allein die Kenntnis über jenen Bericht und die juristische Grundbildung (die mit jenem Thema überhaupt nix zu tun hat) machen den bayrischen Staatminister für Gesundheit und Umwelt bereits zu einer bedeutenden Kapazität auf dem Gebiet der Uran-Entsorgung, dennoch hätte ein genaues Studium des angesprochenen Dokuments nicht schaden können. Oder wenigstens ein ordentliches Zitat, denn ich finde in dem Bericht partout nicht die Stelle, an der die Autoren eine bedingungslose Befürwortung des Projekts anstreben oder auch nur die löchrigen, seit Jahrzehnten absaufenden Stollen erwähnen. Salzstöcke haben gegenüber Festgesteinsformationen erhebliche Vorteile was die Speicherung Wärme entwickelnder Abfälle anbelangt, aber zu einer Patentlösung macht sie das nicht. Der Bericht enthält ja nicht einmal eine Wertung der Gorleben-Verhälnisse, da er sich nur um das geologische Gesamtbild dreht.

Gabriel wirft der Union derweil vor, sie würde die Suche nach alternativen Endlagern blockieren, was ich unter Berücksichtigung oben erwähnter Zitate überhaupt nicht nachvollziehen kann. Er trifft ferner wahnwitzige Verbindungshypothesen zwischen den seit letztem Jahr stark erweiterten Protesten und der fragwürdigen Energiepolitik unserer Koalition. "Die die am lautesten nach der Atomenergie rufen, haben am meisten [Angst] wenn's darum geht ein sicheres Endlager zu finden." verlautete er gestern in einem Interview, dass ich nicht vollständig wiedergeben kann, weil im Mittelteil einige Sekunden herausgeschnitten wurden. In einem früheren Gespräch mit der Braunschweiger Zeitung meinte er ferner: "Warum scheuen Bayern und Baden-Württemberg, die am lautesten für eine weitere Nutzung der Kernenergie plädieren, eine Endlagersuche wie der Teufel das Weihwasser? Also, so kommen wir nicht zu einer Lösung." Wenn Gabriel so weiter argumentiert, wird er noch zum Volkshelden, und das als SPD-Mitglied!

Was vielleicht ebenfalls nicht von allen Mitteilungsbedürftigen verstanden wurde ist die Tatsache, dass es hier nicht um eine Müllkippe geht, sondern um die Sanierung hochgradig radioaktiven Materials, welches bereits in kleinen Mengen und noch in zwanzigtausend Jahren durch Mutationsbeschleunigung für weiträumige Genozide sorgen kann. Kernbrennstäbe kann man nicht einfach im Garten vergraben, sie müssen mit Hinblick auf tausende nachfolgende Generationen, mit viel Verantwortung und nach umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen ausgewählt werden, was von der CDU mit einem schockierten Seitenblick auf die finanziellen Kosten gänzlich ignoriert wird.

"Wir brauchen ein Endlager, und die Suche muss nun auch vorankommen", verlangt Volker Kauder. "Ob es in dieser Koalition noch klappt, da habe ich meine Zweifel." Endlich sind wir mal einer Meinung.

Dienstag

11.11.2008

Vom unrunden Apfel

Woran erkennt man, dass Deutschland Gründungsmitglied der Europäischen Union ist? Richtig, alles ist genormt. Das beginnt beim Toilettenpapier, setzt sich über Nahrungsmittel und deren Vertrieb fort, mit Seitenabstechern zu Autospiegelgrößen, Plakettengewicht, Briefformatierung, Kugelschreiberfüllung, bis hin zu Vorschriften zur Testdurchführung und Kommissariatsurlaubsplanung. So werden beispielsweise Obst und Gemüse in drei Klassen (Extra, I und II) eingeteilt, was sich weniger auf die geschmacklichen und chemischen Qualitäten der Frucht bezieht, als vielmehr auf die optischen Reize. Wenn nun Äpfel nicht sphärisch genug, Birnen zu rund, Melonen zu klein oder Haselnussschalen zu dick sind, werden sie deklassiert und landen schlimmstenfalls in der industriellen Verarbeitung oder auf dem Müll.

Kategorisiere mich!
Eine Banane etwa wird nur dann gerade noch in die Klasse II aufgenommen, wenn ihre Formfehler und "Schalenfehler durch Kratzer, Reibung oder andere Ursachen […] die Fläche insgesamt 4 cm² der Fingeroberfläche nicht überschreitet." Reife Bananen sind demnach vom Verkauf auszuschließen, da sie große braune Flecken aufweisen. Gut, dass das geregelt wurde, sonst könnte glatt jede dahergelaufene Südfrucht im Supermarkt abhängen.

Auch das Amtsdeutsch ist in jenen Fällen oftmals zwiespältig zu betrachten. So liest sich der Absatz IV.B, Größentoleranz, der Bananenregelung etwa: "In allen Klassen 10 % nach Anzahl Bananen, die nicht der Größensortierung entsprechen in einer Begrenzung auf 1 cm kleiner als die Mindestlänge von 14 cm." Schließlich kann man nicht einfach schreiben, dass maximal 10% der Bananen kürzer als 14 cm sein dürfen, das wäre zu einfach. Womit wir auch schon bei der Umsetzung wären. Wer durchwühlt denn bitte jede Kiste, vergleicht Farbschemata, misst etwaige Früchte nach und diskreditiert bei Bedarf den entsprechenden Großhändler? Hierfür wurde eigens europäisches Amtspersonal geschult, welches mit kritischem Blick und unter hohem steuerlichen Aufwand die Durchsetzung von Gemüse-Normen überwacht.

Weitere Gemüse-Gesetze
Überraschenderweise findet sich in der ganzen EU-Regelung kein einziger Paragraph zum Krümmungswinkel von Bananen. Aber Eu wäre nicht EU, wenn man diesen offensichtlichen Fehler nicht bei anderen Bestimmungen wieder gut gemacht hätte. So dürfen etwa Gurken auf eine Länge von 10 cm bis zu 20 mm Krümmung aufweisen, um nicht in eine Sonderling-Kiste zu geraten. Hinzu kommen Form- und Farbfehler, Mindestgewichte, Gewicht-Längen-Proportion, Festigkeit, Erscheinungsbild, Verpackung, Etikettierung und Toleranzregeln. Bei diesem ganzen Gesetzeswahn wundert es nicht, dass die meisten Gurken die sich in europäische Händlerregale trauen, völlig gerade und von identischen optischen Eigenschaften sind. Noch viel weniger überrascht, dass sämtliche Erzeugnisse der ersten Güteklassen auch im kulinarischen Sinne totale Gurken sind. Es mag von nationaler Beständigkeit zeugen, wenn Gemüse immer nach Wasser schmeckt, schließlich ist ja reichlich Flüssigkeit drin. Aber zum Konsum kann jene Ware freilich nicht begeistern, gerade da das geschmacklich identische Leitungswasser vielerorts wesentlich billiger ist.

Natürlich müssen die Waren bereits vom Erzeuger einheitlich abgepackt und versandt werden. Und wehe, wenn da ein Apfel aus der Reihe tanzt, da wird sofort reklamiert! Denn alle Früchte mit zu hoher Klassierung sind Betrug am Kunden, alle zu niedrig eingestuften zählen durch ihre vorsätzliche Wertminderung zum Steuerbetrug. Ein weiterer Grund für niederländische und spanische Agrarunternehmer, nur Fruchtmasse der Klasse I zu verkaufen. Wie viel Wachstumsbeschleuniger, Kunstdünger, Pesti- und Herbizide dabei eingesetzt werden ist letztendlich völlig egal, nur das Ergebnis zählt. Das weiß auch der EU-Kontrolleur und sortiert daher fleckige Bananen aus, belässt jedoch gespritzte Zitronen, die oft schon vom Hinsehen Hautausschlag und Hodenkrebs erzeugen, in der Supermarkt-Kiste.

Die Wende?
Zum allgemeinen Erstaunen der Mitgliedsstaaten will die EU-Kommission ihre Gewächs-diskriminierenden Auflagen entschärfen. Irgendwie ist man auf die Idee gekommen, dass man auch dem Verbraucher ein Stück Entscheidungskraft überlassen könnte. Was gar nicht mal so unbeholfen klingt, wenn man bedenkt, wen so ein Verbraucherschutzgesetz letztendlich schützen soll. Eine vierte Güteklasse soll all jene Früchte enthalten, die der Industrienorm widersprechen, sich aber zum Verzehr eignen. Kommt die Kommission mit ihrem wahnwitzigen Plan durch, so gibt es vermutlich schon ab dem ersten Juli wieder Melonen, Birnen, Karotten und Rosenkohl von normalem variablen Erscheinungsbild im Händlerregal zu bestaunen. Haupthintergrund ist freilich nicht die Entscheidungskraft des Kunden, sondern Entbürokratisierung des Handelssystems, was zu Entlastungen und Kosteneinsparungen führen soll. Naja, das Ergebnis zählt!

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